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Der Biozid durch das Verhalten der Menschheit
“Das ungebremste Bevölkerungswachstum beschleunigt den drohenden Biozid doppelt, weil es den Nahrungsbedarf und den Technikbedarf vergrößert.” (Fritz Preuß 1987, S.186)
In seinem Buch "Der Aufbau des Menschlichen" definiert Preuß1 in Anlehnung an den Begriff des Genozids (Völkermord) den Biozid als der Mord am Leben (S. 188) und den Geozid als "erdumspannenden Menschenartmord" (S. 185). Auch in meiner Philosophie bezeichne ich die Menschheit als eine Tierart (Menschart) und habe den Weg gezeigt, wie die Menschheit ihren drohenden Untergang abwenden kann, allerdings habe ich den Begriff des Biozids noch nicht verwendet, der sehr gut beschreibt, was die naturgesetzliche Folge des gegenwärtigen Verhaltens der Menschheit ist, wenn sie ihr gegenwärtiges Verhalten nicht abstellt.
Prof. Fritz Preuß war als Biologe langjähriger Direktor des Instituts für Veterinär-Anatomie, -Histologie und-Embryologie der Freien Universität Berlin. Er entwirft in seinem Buch bereits 1987 eine Evolutionstheorie, die weit über das naturwissenschaftliche Denken hinausgeht, so dass ich ihm als naturwissenschaftlicher Philosoph nicht folgen kann, wenn er beispielsweise eine “Allkraft” bzw. einen “Allwillen” postuliert. Allerdings sind derartige Vorstellung auch Grundlage der chinesischen Philosophie, die vom “Qi” spricht, einer universellen Kraft, die durch ihre Pole - Yin und Yang - alle Naturerscheinungen generiert (wie ich das bezeichne). Seine Schlussfolgerungen auf das gegenwärtige Menschheitsproblem sind jedoch nachvollziehbar und aktuell. So schildert er das Geld als Waffe, die ebensolche Auswirkungen wie die Atombombe haben kann. Er unterscheidet den plötzlichen und den schleichenden Geozid und Biozid (S. 186).
Ersterer könne verursacht werden durch "eine blutrünstige Endzeitideologie oder durch einen religiösen Wahn" eines Täters (Tätergruppe), der (die) einen nuklearen Krieg beginnt. Der schleichende Geozid betreffe die Lebensgrundlagen der Erde. (Preuß 1987, S. 186) Die Lebenselemente Erde, Wasser und Luft werden durch die Technik vergiftet, dabei sei die Technik drittrangig, zweitrangig sei die Wirtschaft und erstrangig ist das Geld (Preuß 1987, S. 186) "Geld ist eine Waffe", wie er formuliert. Das gegenwärtige Gebaren der Finanzmärkte war ihm noch nicht bekannt und auch von Ozonloch, Klimaerwärmung und den zunehmenden “Natur”katastrophen wie Tsunamies u.a. war seinerzeit noch keine Rede - man könnte ihm hellseherische Fähigkeiten unterstellen. Allerdings waren ihm auch seinerzeit schon die politischen Machthaber und Weichensteller amoralischer Spekulationsgeschäfte ein Dorn im Auge, obwohl noch gar keine undurchsichtigen “Finanzpakete” geschnürt wurden, um mit Schulden Geld zu verdienen. Als Mitverursacher des Biozids identifizierte er seinerzeit bereits auch das Sexualverhalten der Menschen. "Das ungebremste Bevölkerungswachstum beschleunigt den drohenden Biozid doppelt, weil es den Nahrungsbedarf und den Technikbedarf vergrößert." (S.186).
Wie man sieht, werden auch von Preuß nicht einzelne Menchen für die schleichende Vernichtung des Lebens auf der Erde verantwortlich gemacht, sondern bestimmte Dinge (das Geld), Strukturen (Finanzmärkte) und kollektive Verhaltensweisen (Zeugung eines globalen Menschenüberschusses). Das entspricht der Philosophie lebender Systeme, die strikt zwischen dem Individuum als kleinste Handlungseinheit und den übergeordneten "lebenden Systemen höherer Ordnung" unterscheidet, die der Handlungsregel “ständiges Wachstum” (Selbstentfaltung) gehorchen und daher die Entwicklung zum schleichenden Biozid gar nicht ändern können. Das können nur die Individuen, indem sie staatliche Strukturen auflösen und sich mit der Menschheit identifizieren anstatt mit ihrer Nation oder ihrer Religionsgemeinschaft.
Preuß unterscheidet Verstand und Vernunft. Das verstandesmäßige Denken messe, erkenne Naturgesetze und sei Grundlage des zivilisatorischen Fortschritts, der technischen Entwicklung. Die Vernunft, die dem Verstand übergeordnet sei, müsse ethische Normen anwenden bei der Steuerung des Verhaltens. Jede Technik, beispielsweise die Atomtechnik, kann zum Guten und zum Schlechten eingesetzt werden, Technik an sich sei wertneutral, "wertindifferent" wie es Mitscherlich2 formuliert, der ähnliche Befürchtungen für die Entwicklung der Menschheit hegte. Das wertfreie technische Denken blende aggressive Regungen aus, sagt auch Mitscherlich unter Hinweis auf Carl Friedrich von Weizsäcker (Mitscherlich 1969, S. 128). Preuß konstatiert ein Versagen der Vernunft unter der Sogwirkung des Geldes. Die Philosophie lebender Systeme erklärt dies kybernetisch: Geld ist das Mittel der westlichen Gesellschaft, um erwünschtes Verhalten zu belohnen. Wer sich so verhält, wie es dem Staat nützt, sich beispielsweise mit dem staatlich propagierte Leistungsprinzip identifiziert, wird für seinen Ehrgeiz mit Geldzuwendung (Arbeitslohn, Gehaltserhöhung, Prämien usw.) belohnt. Wer andere gewissenlos ausnutzt und trickreich übers Ohr haut, wird sogar mit Supergewinnen belohnt. Amoralität, Gewissenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit werden damit verstärkt. In anderem kulturellen Kontext ist das Kinderkriegen erwünscht und wird als gottgefällig anerkannt, selbst wenn die Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu ernähren oder zu erziehen. Hier bestimmt der Penisreflex des Mannes das Sexualverhalten. Das Geld, das in der Natur überflüssig ist, weil man es nicht essen kann, kann in der westlichen Gesellschaft in verschiedene Lustgefühle umgewandelt werden, die zum Überleben ebenfalls völlig unwichtig sind, wie Konsum von Unterhaltungsangeboten (Fernsehen, Computerspiele usw. usw.), die noch dazu körperliche Passivität fördern und damit die sogenannten Zivilisationskrankheiten (Übergewicht, Gefäßverengung durch Tabakkonsum und Konsum kalorienreicher überflüssiger Snacks usw.) verursachen. Die Verbindung von Geld mit Angeboten passiver Genussbefriedigungen unterschiedlicher durch Werbung induzierter künstlicher Wünsche stellt eine Belohnung von Verhaltensweisen dar, die das Individuum gesundheitlich schädigt, aber einem weiteren Industriezweig nützt, nämlich der Pharmaindustrie. Der hungernde Teil der Menschheit gebiert Kinder im Überschuss und der andere frisst sich krank.
Der schleichende Geozid als "erdumspannender Menschenartmord" und der schleichende Biozid als der Mord am Leben wird von den Geldmarktnormen und Belohnungssystemen und von religiösen Ideologien, die das Paradies als Belohnung in die Nachtodzeit, ins “Jenseits”, verlegen, immer weiter beschleunigt. Diese Regelkreise mit positiver Verstärkung führen mit mathematischer Naturgesetzlichkeit in die Katastrophe - was bereits Frederic Vester3 noch im zurückliegenden Jahrtausend bewiesen hat.
Rudi Zimmerman
Literatur 1 Preuß, Fritz: Der Aufbau des Menschlichen. Die Mitschöpfung der Lebewesen an ihrer Gestaltung. Eine biologische Evolutionstheorie des Konkreten Vitalismus. Verlag Paul Parey. Hamburg und Berlin. 1987. ISBN3-489-63434-9 2 Mitscherlich, Alexander: Die Idee des Friedens und die menschliche Aggessivität. Bibliothek Suhrkamp Band 233. Suhrkamp Verlag. 1969,17. Auflage 1993 3 Vester, Frederic: Die Kunst vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität. Stuttgart. DVA. 1999, ISBN 3-421-05308-1 |