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Das Wachstumsgesetz lebender Systeme
Das System Staat steuert das Denken und Wahrnehmen des Individuums in seinem Interesse (im Interesse des Staates). Dies betrifft alle Individuen, egal ob sie zu denen gehören, die das System Staat lenken (regieren) oder ob sie zu den Regierten gehören.
Die Steuerung wird einerseits durch Implantierung bestimmter Normen und Verhaltensregeln im ÜberIch (Freud) der Individuen durchgeführt, andererseits durch den Einfluss der Gene auf das Verhalten, nämlich als Sexualtrieb (Vermehrungsverhalten) und als Aggressionstrieb (Kriegswunsch, Vernichtungstrieb). Letztere Triebe sind im Es (Freud) der Individuen wirksam. Die im ÜberIch angelegten Verhaltensregeln sind nicht etwa durch staatliche Propaganda oder durch Erziehungseinflüsse dort hineingekommen, sondern sind dort primär als Verhaltensregeln genetisch festgelegt. Sie können allerdings durch eine bewusste Anstrengung des Individuums gegengesteuert werden, so dass sie nicht wirksam werden. Die Gegensteuerung des Individuums ist jedoch anstrengungs- und willensabhängig. Sie versagt zum Beispiel mehr oder weniger leicht unter Drogeneinfluss (z.B. Alkohol) und insbesondere unter dem Einfluss einer Gruppe oder Masse (Le Bon, Canetti). In der Masse herrschen die Verhaltensgesetze der Gene. Dies ist ganz natürlich, da es die genetische Information ist, die in der Evolution der Arten weiterentwickelt und vervollkommnet wird. Die Individuen sind den Genen nur Mittel zum Zweck, dienen der Verbreitung der genetischen Information und sind der Art (und seiner Organisationsform dem Staat) gleichgültig. Entscheidend ist hier nicht das Individuum, sondern die Zahl, nämlich die Anzahl oder die Menge der Individuen. Über je mehr Individuen ein Staat, eine Art (eine Genpopulation), verfügt, desto stärker ist diese Art und desto besser ist ihre Überlebensaussicht. Neben dem Faktor Masse (Anzahl der Individuen) ist in der Neuzeit noch ein weiterer Faktor für die Evolution der Menschenarten (der Staaten) wichtig. Das ist der Grad der Wirtschaftskraft bzw. der Entwicklungsstand der Rüstung.
Wir sehen hier das erste Handlungsgesetz des lebenden Systems Art (Staat). Dies ist das Gesetz der Masse. Jeder Staat ist bestrebt, seine Masse (Individuenzahl) und seine Kraft (Wirtschaftskraft) ständig zu vergrößern und das Handeln seiner Individuen in diesem Sinn zu steuern. Die Steuerungsfunktion obliegt den Genen der Individuen. Man könnte von der Wachstumskraft sprechen. Diese könnte der Trägheit der leblosen Körper entsprechen. Leblose Körper beharren ohne äußere Einwirkung in ihrem Zustand. Lebende Systeme beharren ohne fremde Einwirkung ebenfalls in ihrem Zustand, der ein Wachstumszustand ist. Die Grundbewegung eines lebenden Systems ist sein räumliches Größenwachstum und damit die ständige Kraftzunahme (beim System Staat die Zunahme der Wirtschaftskraft).
Der Einfluss der Gene auf das Verhalten der Individuen wird bei den Regierenden bereits in ihren Eidesformeln deutlich. Sie müssen schwören, für das Wohl des Landes zu sorgen usw.. Ähnlich deutlich ist er bei den Armeeangehörigen. Wer in eine Armee aufgenommen wird, muss in der Regel auch etwas in diesem Sinn schwören. Er soll bereit sein, für sein Land zu sterben oder ähnliches. Der Schwur ist jedoch nicht der Grund dafür, dass die Betreffenden dann auch in diesem Sinn handeln. Auch ohne diesen Schwur würden sie so handeln, wie es ihnen ihr Amt befiehlt. Im sogenannten dritten Reich Deutschlands hieß es, Führer befiehl, wir folgen. Diese Gefolgschaftstreue ist nicht etwa 1933 plötzlich in Deutschland entstanden, sondern sie gehört zur genetischen Grundausstattung jedes Individuums, und zwar nicht erst bei der Gattung Mensch. Das Individuum rationalisiert diese Verhaltenssteuerung u.a. als "Pflicht".
Wenn das kritisch denkende Wesen "Mensch" plötzlich in Kriegsjubel verfällt und freudig in den Krieg zieht, wie beispielsweise Carl Zuckmayer bei Ausbruch des ersten Weltkrieges (Als wär`s ein Stück von mir, 1966, Fischer), ist das kritische Denken nicht etwa durch neue Überzeugungen ersetzt worden, sondern es haben sich die Gene durchgesetzt, die auch das Verhalten des Individuums im Sinne des Staates steuern. Ebenso ist es beim Anblick eines reizvoll gekleideten weiblichen Exemplars "Mensch". Hier obsiegen auch plötzlich die Gene über das kritische Denken und das Handeln wird vom "Schwanz" gesteuert, wie der Volksmund sagt. Wie gesagt, haben die Gene einen erheblichen und in bestimmten Situationen entscheidenden Einfluss auf das Denken. Wenn das Überleben des Volkes (der Gene) oder die Ausbreitung der Gene (Sex) gefragt ist, schalten die Gene das kritische Denken ab. Das kann den Individuen passieren, die regiert werden und auch denen, die regieren.
In den erwähnten Beispielen handelt es sich nun um bestimmte akute Versuchungssituationen, in denen der Einfluss der Gene stärker ist als der des kritischen Denkens. In Dauersituationen ist der gleiche Einfluss in milder Form vorhanden, er macht sich nicht so auffällig bemerkbar.
Hier wirken die Gene über das, was von den Individuen dann als "Pflicht" oder "Sachzwänge" empfunden und so genannt wird.
"Ich tue meine Pflicht" und "die Sachzwänge lassen keine andere Entscheidung zu" ist ein Synonym dafür, dass ich das tue, was das System Staat, nämlich die Gene, mir befehlen. Wenn der ehemalige Kanzler der Bundesrepublik Deutschland meint, er habe nur seine Pflicht seiner Partei gegenüber erfüllen wollen, so hat er recht. Die Pflicht (die Gene) befiehlt ihm, das Interesse für das System höherer Ordnung höher zu stellen, als sein Interesse an sich und seiner persönlichen Bereicherung. Er ist "Parteisoldat" und wollte seiner Partei helfen. Eigentlich sollte er allerdings "Soldat" des Staates sein, den er "lenkt". Er hat sich zur Begründung seines gengesteuerten Verhaltens das falsche System höherer Ordnung ausgesucht, nämlich seine Partei.
Die Befehle der Gene werden nur in Ausnahmefällen durch Hormone übermittelt. Die genetische Information steuert das Verhalten der Individuen im Staatsinteresse nicht nur, wenn es um die Vermehrung der Individuen geht, sondern auch in seinem Alltag. Hierfür wird besonders der Überlebenswille, der Selbsterhaltungstrieb, benutzt. Dieser befiehlt dem Individuum, für sein Überleben und das Überleben seiner Nachkommen zu sorgen. Dies treibt das Individuum beispielsweise zur regelmäßigen Berufstätigkeit an. Ein derartiges roboterhaftes Handeln, tägliches Aufstehen zu einer bestimmten Uhrzeit usw., entspricht nicht der Handlungsfreiheit des Individuums, sondern ist Resultat einer "Einsicht". Freiheit ist jedoch nicht Einsicht in irgendeine objektive Notwendigkeit, sondern die Freiheit besteht lediglich darin, dem Druck der Gene nachzugeben und das zu tun, was die Gene vorschreiben. Die äußeren "Notwendigkeiten" sind lediglich Rationalisierungen des Individuums, die den Verzicht auf Freiheit verschleiern. Die regelmäßige Arbeitstätigkeit ist objektiv zunächst einmal eine Einschränkung von Entfaltungsmöglichkeiten auf eine einzige Tätigkeit, also ein Verzicht auf die Wahrnehmung von Freiheitsmöglichkeiten. Dieser Verzicht bekommt später zwar einen Sinn, ist und bleibt aber im Anfang jedoch ein Freiheitsverlust. Das Individuum passt sich der Masse an und nimmt hier einen Platz ein, verhält sich nicht anders als die Ameise im Ameisenstaat. Das Entscheidende ist die Größenzunahme und der Kraftzuwachs des Staates und nicht die Freiheit des Individuums.
Rudi Zimmerman |
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