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Das Verhältnis des Menschen zu seinem lebenden Körper und der Untergang der Menschheit
Rudi Zimmerman
René Descartes1 (1596-1660) sagt zu diesem Thema in seinen Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie:"so betrachte ich auch den menschlichen Körper als eine Art Apparat, der aus Knochen, Muskeln, Nerven, Adern, Blut und Haut so zusamengesetzt ist, dass er, auch wenn keine Seele in ihm wäre, doch alle Bewegungen vollzöge, die in ihm … nicht von dem Geist ausgehen." (Descartes 1641, S. 173). Der Arzt und Philosoph La Mettrie2 (1709-1751) hat diese Auffassung später perfektioniert (La Mettrie 1748). Descartes führt in dieser "Meditation" weiterhin aus, dass der Leib teilbar sei, die Seele hingegen nicht, da sie ausdehnungslos sei (S. 174) und dass der Geist seine Eindrücke nicht direkt von den Objekten (also auch vom eigenen Körper) empfange, sondern "nur vom Gehirn" (S. 175). Die Begriffe Seele und Geist werden hier synonym gebraucht, ich werde im weieren dafür den Begriff des ICH verwenden. Descartes wird daher allgemein als Begründer eines Dualismus aufgefasst, der Körper und Geist als zwei Substanzen betrachte, die nicht miteinander wechselwirken würde. Damit wird ein künstlicher Gegensatz zum "Monismus" hergestellt, der ein natürliche Evolution von primär vorhandener Materie/Energie zu lebenden Systeme lehrt. Der Entwicklungsgedanke stand zu Zeiten Descartes noch in krassem Widerspruch zur Schöpfungstheorie der katholischen Kirche und durfte daher aus Rücksicht auf seine Selbsterhaltung gar nicht gedacht werden, so dass die beiden Positionen im Grunde keinen Widerspruch darstellen:
die von Darwin (1809-1882) erkannte und inzwischen weiterentwickelte Evolutionstheorie (Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl 1859) erklärt lediglich, dass der menschliche "Geist" ein Ergebnis der Selektion ist, dass denkende Lebewesen also durch die Verwendung des Hirns zu Denkzwecken einen evolutionären Vorteil hatten. Unbestreitbar ist, dass immer ein materieller Datenträger vorhanden sein muss, wenn Geistiges gespeichert werden soll, dass aber andererseits das Geistige im Gegensatz zum Materiellen keine räumliche Ausdehnung hat.
Zweitens ist Tatsache, dass Geistiges, wenn es Wirkung entfaltet, stets darauf angewiesen bleibt, Materie zu nutzen.
Offen ist lediglich die Frage, auf welche Weise der materielle Input des Hirns in Form elektrischer Impulse in Geistiges, also in Wahrnehmung von Farben und Formen, Tönen und Musik, Gerüchen oder andere Sinnesqualitäten umgewandelt wird und auf welche Weise immaterielle Entscheidungen in Aktion des Körpers umgesetzt wird. Die Herstellung von Wahrnehmungen aller Art und deren Speicherung sowie die Kombination von Daten und Realisierung von Entscheidungen sind Funktionen des ICHs, die mittels des materiellen Körpers umgesetzt werden.
Bekanntes und Unbekanntes
Es steht also einerseits fest, dass es Immaterielles in Form von Ideen, Wahrnehmungen und Enscheidungen gibt und auch Materielles in Form von Körpern und Energien, und es steht auch fest, dass sich das Geistige aus dem Körperlichen entwickelt hat, also das Geistige auf das Materielle angewiesen ist.
Das menschliche Vorstellungsvermögen ist jedoch begrenzt und versagt dabei, sich bestimmte Erkenntnisse auch vorstellen zu können. Das betrifft nicht nur die Frage, wie Materielles in Geistiges umgewandelt wird und wie Geistiges anschließend in materielle Aktion umgewandelt wird, sondern z.B. auch die Unfähigkeit, sich die Gleichzeitigkeit der Korpuskel- und Welleneigenschaft des Lichts vorzustellen.
Die Philosophie lebender Systeme legt also die Forschungsergebnisse der Naturwissenschaften als gesichertes Wissen zugrunde, unterscheidet aber auch das Materielle vom Immateriellen, Geistigen. Sie betrachtet daher den menschlichen Körper wie Descartes als einen Apparat, der dem Geistigen des Individuums zur Erledigung bestimmter Funktionen zur Verfügung stehen kann.
Diese Funktionen sind die Wahrnehmung, das Abspeichern dieser, also die Gedächtnisfunktion, die Denkfunktion, das Hervorbringen von Ideen und die Entscheidungsfunktion. Dies sind Funktionen, die einer geistigen Instanz zugeordnet werden, die ICH genannt wird. In diesem Punkt verwendet die Philosophie lebender Systeme den Begriff des ICH also im Sinne Freuds (Sigmund Freud, 1856-1939).
Der Gedanke, dass der Körper ein Werkzeug des ICHs ist oder sein kann (dazu weiter unten näheres), wurde auch von Rousseau3 (1712-1788) vertreten, der in seinem Aufsatz über die Ungleichheit unter den Menschen sagt: "Der Körper des Wilden ist das einzige Werkzeug, das er kennt. Lässt man nun dem Kulturmenschen den Vorteil, aller seiner Werkzeuge sich zu bedienen, dann ist er unzweifelhaft dem Wilden überlegen." (Rousseau 1750, S. 82).
Hier nimmt Rousseau bereits eine funktionelle Gleichstellung vor zwischen dem "tierischen" Körper des natürlichen Menschen und dem des zivilisierten Menschen, dem neben diesem Körper auch die von ihm selbst hergestellten sonstigen Werkzeuge zur Verfügung stehen. Nur durch diese sei der zivilisierte Mensch dem natürlichen Menschen überlegen, aber dieses Eigentum bringe auch Nachteile mit sich, nämlich: "Die Menschen werden habgierig, ehrgeizig und boshaft." (Rousseau 1750, S. 92) Schon Rousseau kritisiert hier mit seinen Worten die Entfremdung des Menschen von seinem natürlichen Sein durch die technische Evolution – und nicht erst Marx.
Körperexterne Organe
Die Philosophie lebender Systeme übernimmt zwar die mit Descartes und Rouseau begonnenen Überlegungen zum Verhältnis des Geistigen (hier ICH) und Körperlichen, entwickelt sie jedoch weiter, indem der Körper des Menschen ganz definitiv eingeteilt wird in einen lebenden Teil und einen nichtlebenden Teil des menschlichen Körpers. Der materielle Teil des Menschen besteht danach in dem angeborenen, überwiegend von genetisch gespeicherten Handlungsprogrammen gesteuerten lebenden Anteil, dem das ICH nicht entfliehen kann, und einem körperexternen materiellen Teil, der aus den vom Menschen geschaffenen Funktionsträgern besteht, die dem ICH als Eigentum zusätzlich zur Verfügung stehen, und die überwiegend bewusst gesteuert werden können. Während nämlich die körperinternen Organe weitgehend und ganz überwiegend autonom arbeiten und vom vegetativen Nervensystem gesteuert werden, auf das das ICH keinen oder nur geringen Einfluss hat, kann das ICH seine körperexternen Organe, die Hans Hass4 (Hass 1970) als "zusätzliche Organe" bezeichnet, bewusst steuern, sofern es sich um "Effektoren" handelt. "Effektoren" sind Ausführungsorgane, die Befehle des ICHs verwirklichen. So tragen mich meine Beine dorthin, wo ich es "will", ohne dass ich wissen muss, wie sie das eigentlich tun, auch mein Auto gehorcht meinen Befehlen und ich lenke es in die gewollte Richtung, ohne z wissen, wie eigentlich der Motor und die Lenkung funktionieren. Meine Beine und mein Auto sind mir "Effektoren", wobei das Auto den Vorteil der schnelleren Bewegung hat sowie den entscheidenden Vorteil, das ich die Energie, die es benötigt, nicht erst durch Nahrungsaufnahme in meinen lebenden Körper aufnehmen muss, sondern dass ich bei dieser Fortbewegungsart Fremdenergie nutze (Benzin). Auf diesen Energieeinspareffekt als richtungsweisend für die Zivilisation hat bereits Wilhelm Ostwald (Ostwald 1909) hingewiesen.
Die Philosophie lebender Systeme sieht nun allerdings in der Entwicklung körperexterner Organe im Rahmen der Zivilisation keine Entfremdung des Menschen, sondern sie betrachtet diese Entwicklung als eine Hinentwicklung des Menschen zu seinem menschlichen Sein, dessen wesentliches Merkmal die Selbstbestimmung des Individuums ist.
Der Freiheitsgewinn durch die Zivilisation
Das Individuum erreicht durch den Einsatz körperexterner Effektoren nämlich einen höheren Freiheitsgrad, es gewinnt durch die technische Zivilisation ständig mehr Entscheidungsmöglichkeiten, sein Freiheitsgrad steigt.
Und dies betrifft nicht nur seine aktiven Handlungsmöglichkeiten, sondern insbesondere auch seine Genussmöglichkeiten.
Im gegenwärtigen Stand der Zivilisation sind diese Selbstentfaltungsmöglichkeiten allerdings an die Verfügung über Geld gebunden. Dies ist ein Problem der Gegenwart, das seiner Lösung harrt, weil Geld und Reichtum global ungleich verteilt sind.
Während Marx die Menschen in Klassen (Produktionsmittelbesitzer und Arbeiter) eingeteilt hat, entfällt in der Philosophie lebender Systeme eine derartige Trennung der Menschen, da alle Menschen das gleiche Interesse nach Selbstverwirklichung haben und aufgrund ihrer biologischen Herkunft ein Tierart mit gleicher genetischer Ausstattung bilden. Dies bedingt die Gleichheit aller Menschen. Die Ungleichheiten, die Rousseau auf den Besitz (das Eigentum) und seine ungleiche Verteilung zurückführt, also auf die ungleiche Verteilung dieser körperexternen Organe des Menschen, lassen sich nicht durch Gewaltanwendung oder Abschaffung des Geldes oder seine gleiche Verteilung abschaffen, sondern nur durch eine Einwirkung des ICHs der Individuen auf ihren lebenden Körperanteil, auf seine genetisch gespeicherten Handlungsprogramme. Diese treiben nämlich die Individuen zu Verhaltensweisen, die die Vorteile der technischen Evolution wieder zunichte machen, indem die biologischen Selbstentfaltungskräfte auf der materiellen Daseinsebene befriedigt werden.
Diese biologische Kraft, die ich "Selbstentfaltung" nenne und die in der gegenwärtigen Zivilisation überwiegend materiell befriedigt wird, was naturgesetzlich zum Kollaps des Systems Erde führen muss, habe ich an anderer Stelle ausführlich beschrieben. Dieser Kollaps deutet sich bereits jetzt in einer Klimaerwärmung an und wird zum Untergang der Menschheit führen, wenn nicht gegengesteuert wird.
Rudi Zimmerman
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